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Vorsprung durch Physik

Studie der Schweizerischen Physikalischen Gesellschaft zeigt: Industrien, in denen Physik eine zentrale Rolle spielt, schaffen wirtschaftliche und gesellschaftliche Werte

Physics
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Eine von der Schweizerischen Physikalischen Gesellschaft (SPG) in Auftrag gegebene Studie [1] zum Einfluss der Physik auf die Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Physik sorgt für Fortschritt. „Mit Physik im Land macht man immer einen Gewinn für die Gesellschaft“, fasst Hans Peter Beck, ehemaliger SPS-Präsident und einer der Treiber der Studie, das fast 50 Seiten lange Werk zusammen. IMSD, eine Dienstleistungsfirma im Bereich Datenanalyse und Statistik hat mit finanzieller Unterstützung von SCNAT die statistischen Daten geliefert. Die Daten wurden von der SPG analysiert, interpretiert und mit Fallstudien, Interviews und weiteren Fakten ergänzt. Das Ergebnis: In wirtschaftlicher Effizienz übertrifft die das Arbeitsfeld Physik-Industrie ­– also all die Betriebe, für die die Anwendung der Physik als Technologie oder Fachwissen existenziell ist – sogar Produktion, Handel oder Baugewerbe. Aus gesellschaftlicher Sicht trägt es viel dazu bei, die derzeit grössten Herausforderungen Klima und Energie zu bewältigen und eine naturwissenschaftliche gebildete Bevölkerung zu schaffen.

Wie künstliche Intelligenz und Datenanalyse-Knowhow aus der Physik älteren Menschen das Leben erleichtern kann, zeigt zum Beispiel das in Zürich und Zagreb ansässige Unternehmen caru. Mitgegründet wurde caru, das inzwischen auf über 10 Mitarbeitende angewachsen ist, von ETH-Absolventin Susanne Dröscher. Sie beobachtete, wie ihre eignen Grosseltern in einer Lebensphase, in der sie immer mehr auf Hilfe von aussen angewiesen waren, den Anschluss an die moderne Technologie nicht mehr schaffen konnten. Dröscher ersann Hilfe. Eine unauffällige, ans Mobilfunk und WLAN-Netz angeschlossene und extrem leicht zu bedienende Alarmstation ermöglicht es älteren Menschen in Notsituationen in der Wohnung jetzt, einfach durch einen Hilferuf die Notfallkräfte zu alarmieren. Das System basiert auf einem KI-Pflegemanagement, das auf schnelle und komplexe Verarbeitung von Daten angewiesen ist. Viele Unternehmen und Start-ups brauchen heute solche Skills, die Physikabsolvent:innen ganz automatisch während ihres Studiums lernen und anwenden.

Die Studie der SPG ist die erste ihrer Art in der Schweiz. Auslöser war ein ähnlicher Bericht der Europäischen Physikalischen Gesellschaft EPS [2] über die Bedeutung der Physik für die europäische Wirtschaft, der sich auf der Basis von Eurostats-Daten einen Zeitraum von sechs Jahren in 31 Ländern angesehen hat. Auch das britische Institut of Physics IoP [3] lässt regelmässig den Einfluss der physikbasierten Industrien auf die Wirtschaft überprüfen, „mit augenöffnenden Ergebnissen“, wie Hans Peter Beck betont. Für optimale Vergleichbarkeit orientiert sich die SPG-Studie daher an den Kategorien und der Metrik der andern Studien. Physikbasierte Industrien (PBI) sind dabei definiert als die Sektoren der europäischen Wirtschaft, in denen die Nutzung der Physik - in Form von Technologien und Fachwissen - für ihre Existenz entscheidend ist. Die Aufgabenfelder reichen dabei von Medizintechnik, Elektronik und Telekommunikation bis hin zu Technologien wie dem Internet-of-Things-Projekt caru.

Aber natürlich treiben nicht nur Start-ups die Wirtschaft voran – auch Grossindustrien wie IBM oder der Biotech-Riese Roche kommen ohne Physikexpertise nicht aus. Einerseits brauchen sie Physiker:innen in der eigenen Belegschaft, andererseits kooperieren sie eng mit wissenschaftlichen und Forschungseinrichtungen in der Schweiz, um Grundlagenforschung zur Anwendung zu bringen. Interviews und Statements von Wirtschaftsführern führen dies in der vorliegenden Studie aus und erläutern, wo Grundlagenforschung gefördert und wo die Resultate der Grundlagenforschung in die Praxis umgesetzt werden sollen, damit ein ständiger Innovationsfluss entsteht, der als Treiber in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft dient.

Komplexere Technologien, gute Nährböden für Start-ups und Marktlücken für Start-ups für komplexe Technologien – die Zeichen stehen gut für PBIs. Tatsächlich liegt der Umsatz der physiknahen Industrien bei 274 Milliarden Franken; ihr Anteil an der Bruttowertschöpfung der Schweiz beträgt 13 % der gesamten Wirtschaft und liegt dabei zwischen Finanzwesen und der Produktion. Umgerechnet auf die Bruttowertschöpfung pro vollzeitäquivalentem Arbeitsplatz schneidet die PBI sogar noch besser ab: mit 219 400 Franken pro Vollzeitäquivalent liegt sie nicht nur deutlich über Handel und Produktion, sondern auch über dem Schweizer Durchschnitt, der im Jahr 2019 165 600 Franken betrug. Hier hängt die Schweiz ihre Nachbarländer klar ab: Deutschland liegt mit ca 120 000 Franken Bruttowertschöpfung pro Vollzeitäquivalent in den PBI deutlich unter dem Schweizer Wert, während Frankreich mit 170 000 Franken den zweiten Platz belegt. Und der Trend ging im Messzeitraum deutlich und stärker als in anderen Wirtschaftszweigen nach oben. Während der durchschnittliche Zuwachs der Verhältnisses Bruttowertschöpfung zu Vollzeitäquivalent in der Schweiz zwischen 2015 und 2019 bei 2,3 % liegt, beträgt er bei den PBI 6,3 %. Die Studie schätzt, dass „für jeden Franken an direkter physikbezogener Produktion insgesamt 2,31 bis 2,49 Franken an gesamtwirtschaftlicher Produktion realisiert wird“. Die Physik spielt in der Schweizer Wirtschaft also eindeutig eine wichtige Rolle und alle Zeichen stehen darauf, dass diese Bedeutung in Zukunft noch zunehmen wird.

„Physik“ bedeutet hierbei einerseits natürlich Technologien, Instrumente, Maschinen und Software. Andererseits zahlt auch der Faktor Mensch erheblich auf den Erfolg der PBI in der Schweizer Wirtschaft ein, sowohl auf Forschungs- als auch auf Industrieseite. Der direkte Kontakt zwischen Forschenden und Firmen ist zentral für eine schnelle Marktreife eines neuen Produkts. Die in der Schweiz hervorragend ausgebildeten Physikabsolvent:innen seien ein Garant für den Fluss von modernstem Wissen und High-Tech in die Wirtschaft, so die Studie – allerdings gibt es nicht genug davon. Die Studie plädiert daher dafür, besonders Mädchen früh zu fördern, um so nicht nur dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sondern auch das in der Schweiz sehr ausgeprägte Ungleichgewicht von männlichen zu weiblichen Studierenden und Promovierenden auszugleichen. Gezielte Programme an und ausserhalb von Schulen sollen bei mehr Schüler:innen das Interesse an Naturwissenschaften wecken – aber nicht nur bei ihnen, betont Hans Peter Beck. Auch die breite Öffentlichkeit soll durch mehr Information über den Nutzen und das Potenzial von der Physik und verwandten Wissenschaften besser informiert werden. „Nur mit Wissen wird eine Gesellschaft wirklich mündig“, fasst Beck zusammen. „Nur auf Basis von faktenbasiertem Wissen kann man Entscheidungen treffen, die die Gesellschaft und die ganze Welt nachhaltig beeinflussen. Wir in der Physik haben hier eine grosse Verantwortung, das Physikverständnis in der Gesellschaft zu verbessern!“

Barbara Warmbein

More info:

[1] SPS Focus No 2: Impact of Physics on Swiss Society

https://www.sps.ch/artikel/sps-focus/sps-focus-2

[2] EPS-Report „The Importance of Physics to the Economies of Europe”

https://www.eps.org/page/policy_economy

[3] Institute of Physics study “Physics and the Economy” 2022 findings

https://www.iop.org/strategy/productivity-programme/physics-and-economy#gref

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