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Bild: ESO

Gelassen aus der Babypause starten

Statistikerin Stella Bollmann setzt beim Wiedereinstieg auf Flexibilität

Über ein Jahrzehnt lebte Stella Bollmann für die statistischen Methoden der Psychologie. Seit diesem Frühjahr schlägt ihr Herz neu auch für ihren neugeborenen Sohn. Ab Herbst will sie ihre akademische Tätigkeit wieder aufnehmen und mit dem Familienleben in eine Balance bringen. Wie das gelingen kann und welche Bedeutung Familie und Beruf in ihrem Leben künftig haben werden, möchte sie Schritt für Schritt entdecken.

Dr. Stella Bollmann wohnt in Zürich-Wiedikon und arbeitet seit Februar 2020 an der Pädagogischen Hochschule Luzern. Das Bild zeigt sie bei einer Reise nach Südamerika.
Bild: Privat

Es war eine Zeit, als der Begriff ‚Homeoffice‘ noch nicht in aller Munde war. Doch schon damals gab es Menschen, die ihre Arbeit von zuhause aus erledigten. So auch im Elternhaus von Stella Bollmann, die 1986 in der Nähe von Nürnberg geboren wurde. Nach der Trennung von ihrem Mann kümmerte sich die Mutter um Stella und deren ältere Schwester. Zum Glück für die Kinder konnte die Mutter ihrer Tätigkeit als Architektin oft von zuhause nachgehen und so viel für ihre Töchter da sein. „Ich hatte ein schönes Zuhause, mit Hunden und Katzen“, erinnert sich Stella Bollmann an ihre Kindheit und ergänzt: „Als meine Mutter feststellte, dass ich ein Talent für Mathematik habe, hat sie mich umgehend gefördert. Viele Mädchen wachsen leider immer noch mit dem Stereotyp auf, dass sie nicht gut mit Zahlen umgehen könnten. Solche Zuschreibungen gab es bei uns zu Hause nicht und ich habe erst Jahre später mitbekommen, dass es Menschen gibt, die das wirklich noch glauben.»

Vorbilder statt Karrierismus

Von den Erfahrungen ihrer Kindheit kann die 35jährige Statistikerin heute zehren, jetzt, da sie selbst einen Sohn hat, Simon, Ende März 2021 geboren, und sie ab Herbst 2021 wieder ihre akademische Arbeit aufnehmen will. Um Beruf und Familie in Einklang zu bringen, gibt es keine Blaupause, aber gute Vorbilder wirken nach. Ein solches ist für Stella Bollmann ihre Mutter, ein anderes ihre heutige Chefin, eine studierte Physikerin und Mutter dreier Kinder, wie Stella Bollmann berichtet. „Meine Chefin unterstützt ihre Mitarbeitenden vorbildlich. Ich profitiere von solcher Unterstützung, indem sie mir den Wiedereinstieg mit Hilfestellungen wie etwa dem Homeoffice, erleichtert“, erzählt Stella Bollmann. Die junge Mutter will schrittweise zurück in ihren Beruf, will ihre wissenschaftliche Tätigkeit ab Anfang 2022 wieder auf 80 bis 100 % aufstocken. Sie und ihr Partner – Wissenschaftler wie sie – suchen für ihren Sohn einen Kita-Platz und vielleicht eine Nanny. Den Rest der Betreuung wollen sie selbst übernehmen, denn die Grosseltern leben in Deutschland und können nicht helfen. „Mein Partner und ich reden viel darüber, wie wir Familie und Beruf unter einen Hut bekommen. Diese ständige Kommunikation verschafft mir die Gewissheit, dass wir einen guten Weg finden werden.“

Der bisherige Lebenslauf von Stella Bollmann ist der einer ambitionierten Akademikerin: Nach dem Abitur studierte die 19jährige Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dort traf sie auf Markus Bühner, Professor für Methodenlehre in der Psychologie. So kam Stella Bollmann über die Psychologie zur Statistik: „Unter den Psychologen gibt es so einige, die Statistik lieber meiden; für mich hingegen ist sie das einzig Handfeste, das wir in diesem Fach lernen.“ Mathematik hatte sie schon am Gymnasium gemocht und als Vertiefungsfach für das Abitur gewählt. Daran konnte sie nun anknüpfen. „Statistik ist ein faszinierendes Gebiet. Am Lehrstuhl von Prof. Bühner hatten wir zudem ein schönes Arbeitsumfeld, wir führten tolle Diskussionen.“ Die Begeisterung für die Methoden der Psychologie bewog Stella Bollmann zu einem Masterstudium in Statistik – während sie parallel 2015 ihre Doktorarbeit in Psychologie (zu einem statistischen Thema) abschloss.

Psychologische Methoden verbessern

Die Psychologie setzt gern Fragebogen ein, wenn sie bei Menschen Merkmale wie Lernfähigkeit, Einstellungen, Intelligenz oder Motivation erfassen will. Um aus den Fragebogen-Antworten auf die gesuchten Merkmale zu schliessen, verwenden Psychologen bestimmte Auswertungsmethoden. Eine davon ist die bereits vor hundert Jahren begründete ‚Faktorenanalyse‘. „Ich habe in meiner Doktorarbeit die Faktorenanalyse unter die Lupe genommen und untersucht, wie gut sie in der Lage ist, herauszufinden, ob Fragebögen tatsächlich das messen, was sie zu messen glauben. Ich habe zudem eine weitere Auswertungsmethode (‚k-means Clusteranalyse für Items‘) weiterentwickelt und deren Aussagekraft mit der Faktorenanalyse verglichen.“

Nach Abschluss der Doktorarbeit kam Stella Bollmann als Postdoc an die Universität Zürich. Später wechselte sie an die Universität Luzern, wo sie sich unter anderem mit der Auswertung von Krankenhausdaten beschäftigte. Seit Februar 2020 arbeitete die Statistikerin überdies in Teilzeit an der Pädagogischen Hochschule (PH) Luzern. Bis zum Beginn der Babypause beriet sie hier Doktoranden und Doktorandinnen der PH Luzern in statistischen Fragen. Sie unterstützte in jüngster Zeit – um ein Beispiel zu geben – eine Doktorandin, die mit statistischen Modellen unterschiedliche Lehrmethoden (z.B. Video- und Audiopräsentationen) auf ihre Zweckmässigkeit hin untersuchte. In ihrer Beratungstätigkeit leistet Stella Bollmann bisweilen so viel wissenschaftlichen Input, dass sie als Co-Autorin der wissenschaftlichen Publikation in Erscheinung tritt.

Der Luxus, sich Zeit zu lassen

Wer Stella Bollmann nach einer wissenschaftlichen Leistung fragt, auf die sie besonders stolz ist, den verweist sie auf ein ‚Paper‘ zur Fragebogen-Analyse. Der Aufsatz beruht auf den Vorarbeiten des inzwischen emeritierten Münchner Statistik-Professors Gerhard Tutz und wurde in enger Zusammenarbeit mit ihm verfasst. 2018 erschien die Publikation in der wissenschaftlichen Zeitschrift ‚Educational and Psychological Management‘. „Das war eine besonders anspruchsvolle Arbeit, weil sie vergleichsweise mathematisch war“, erläutert die Wissenschaftlerin.

An diese wissenschaftliche Tätigkeit will Stella Bollmann künftig anknüpfen, ergänzend zu ihrer Beratungstätigkeit an der PH Luzern. Wohin sie die akademische Tätigkeit führen wird, kann und will sie im Augenblick nicht festlegen. Gegenwärtig sei die Rolle als Mutter mindestens ebenso wichtig, sagt sie. Dass eine junge Mutter ganz für ihr Kind da ist, überrascht nicht. Es gibt viele Eltern, die nach der Geburt ihres Kindes die Zeit mit dem Neugeborenen gerade im ersten Lebensjahr geniessen möchten – wenn einem das auch vom Arbeitgeber ermöglicht wird, sei das „ein gewisser Luxus“, sagt sie.

Was aber nicht bedeutet, dass die Statistik ihr nicht immer noch sehr wichtig ist. Denn wenn ihr Sohn „einen guten Tag hat“ und ihr Zeit für wissenschaftliche Gedanken lässt, arbeitet sie jetzt trotz Mutterschaftsurlaub schon wieder an Forschungsprojekten. Stella Bollmann ist eine Wissenschafterin, die sich nicht unter Karriere-Druck setzen lassen will. „Ich habe intensiv geforscht und vieles erreicht; es wäre schön, noch weiter nach oben zu kommen, aber es ist mir vor allem wichtig, die Begeisterung für das, was ich tue, aufrecht zu erhalten und mir und meinen Werten treu zu bleiben. «So nutze ich meine freie Zeit für Projekte, die mir wirklich Spass machen, ohne dabei an den Lebenslauf denken zu müssen».

Wissenschafterinnen eine Stimme geben

«Beruf und Familie unter einen Hut bekommen» kann bedeuten, möglichst schnell nach der Geburt des Kindes wieder in die Arbeit einzusteigen, um dort ja nichts zu verpassen. Stella Bollmann will schrittweise beide Lebensbereiche möglichst gleichberechtigt miteinander integrieren, um idealerweise in beiden nichts zu verpassen. Helfen könnte ihr auf dem Weg das Netzwerk, das die geborene Deutsche in der Schweiz knüpft. Seit 2019 präsidiert Bollmann die ‚Schweizerischen Gesellschaft für Statistik‘ (SSS), den Dachverband von rund 500 Statistikerinnen und Statistikern aus öffentlicher Verwaltung, Unternehmen und Forschung. Stella Bollmann will die Position unter anderem nutzen, um Wissenschaftlerinnen ihres Berufsfelds vermehrt eine Stimme zu geben. „Ich erlebe viele Situationen, wo ich die einzige Frau am Tisch bin“, erzählt die Forscherin über ihre ehrenamtliche Tätigkeit als SSS-Präsidentin. Um dies zu ändern, versucht sie, weitere Frauen für die Vorstandsarbeit zu gewinnen. Ferner will sie darauf hinwirken, dass in Diskussionsrunden, die von der SSS veranstaltet werden, vermehrt Frauen zu Wort kommen. «Es gibt in der Statistik viele kompetente Frauen, und ihnen möchte ich eine Stimme geben, damit sie wiederum für andere Frauen als Vorbilder fungieren können.»

Autor: Benedikt Vogel

Porträt #6 von Wissenschaftlerinnen im MAP-Bereich (2021)

  • Dr. Stella Bollmann wohnt in Zürich-Wiedikon und arbeitet seit Februar 2020 an der Pädagogischen Hochschule Luzern. Das Bild zeigt sie bei einer Reise nach Südamerika.
  • 2019 wurde Stella Bollmann zur Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Statistik gewählt. Hier hält sie die Eröffnungsrede der Statistiktage.
  • Auf einem Segelausflug: Stella Bollmann ist begeistert von Statistik, aber sie will neben der wissenschaftlichen Tätigkeit ihr Privatleben pflegen.
  • Dr. Stella Bollmann wohnt in Zürich-Wiedikon und arbeitet seit Februar 2020 an der Pädagogischen Hochschule Luzern. Das Bild zeigt sie bei einer Reise nach Südamerika.Bild: Privat1/3
  • 2019 wurde Stella Bollmann zur Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Statistik gewählt. Hier hält sie die Eröffnungsrede der Statistiktage.Bild: Privat2/3
  • Auf einem Segelausflug: Stella Bollmann ist begeistert von Statistik, aber sie will neben der wissenschaftlichen Tätigkeit ihr Privatleben pflegen.Bild: Privat3/3
Stella Bollmann (PH Luzern) präsentiert eine runde Sache

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