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Bild: ESO

Zu Besuch im japanischen Super-Kamiokande-Detektor (Teil 2)

Grosse Fragen rund um die kleinen Neutrinos

In tiefen Stollen ehemaliger Bergwerke nahe der japanischen Alpen erforschen Wissenschaftlerteams mit Schweizer Beteiligung verschiedene Arten von Elementarteilchen. In den nächsten Jahren nehmen leistungsfähige Forschungsinstrumente den Betrieb auf, mit welchen die Wissenschaftler das Wesen der Neutrinos ergünden wollen. Die erhofften Ergebnisse könnten zur Lösung schwieriger Fragen in unserem Verständnis des Universums führen.

Künstlerische Darstellung eines Protonzerfalls. Illustration: Hyper-Kamiokande Collaboration
Bild: CHIPP, Switzerland

Überall auf der Welt gibt es Berge, die von langen Stollensystemen durchlöchert sind. In der Schweiz denkt man an den Gotthard mit seinen militärischen Anlagen aus der Kriegszeit. Wer im nördlichen Teil der japanischen Alpen unterwegs ist, der trifft im Ikenoyama-Berg auf ein Stollenlabyrinth ganz anderer Art: Hier gibt es – durch eine 1000 Meter starke Felsschicht von kosmischer Strahlung und anderen störenden Einflüssen geschützt – einen Ansammlung von physikalischen Labors. Zwei dieser Experimente wollen der Dunklen Materie auf die Schliche kommen, ein Experiment untersucht Gravitationswellen, und ein weiteres den doppelten Betazerfall. Und dann gibt es zwei Versuchsanlagen zur Beobachtung von Neutrinos, jener Klasse von ungeladenen, fast masselosen Elementarteilchen, die in drei Arten vorkommen und die sehr schwer nachweisbar sind, weil sie kaum mit Materie wechselwirken.

Auf der Suche nach fernen Supernovae

Eines dieser beiden Neutrinoexperimente ist der weltweit bekannte Super-Kamiokande-Detektor. Seit seiner Inbetriebnahme 1996 hat Super-K, wie Physiker den Detektor oft nennen, das Verständnis der Neutrinos grundlegend vorangebracht. In den kommenden Monaten soll er nun nochmals aufgerüstet werden für seine wohl letzte Mission: Er soll jene Neutrinos aufspüren, welche ihren Ursprung in der Explosion von kollabierenden Sternen (Supernovae) haben. Physiker sprechen von ‘Supernovae-Relikt-Neutrinos’ (SRN), manchmal auch vom ‘Diffusen Supernova Neutrino Background’ (DSNB). Der Super-Kamiokande kann solche Neutrinos zwar auffangen. Das Problem ist aber, dass Wissenschaftler diese Neutrinos nicht von Neutrinos aus solaren oder anderen galaktischen Quellen unterscheiden können.

Dies möglich zu machen, ist das Ziel des anstehenden Gadolinium-Projekts: Dem Wassertank, aus dem der Super-Kamiokande im Wesentlichen besteht, soll im Frühjahr 2020 nun 0.1% Gadolinium zugesetzt werden. Gadolinium ist ein Metall der seltenen Erden, das 1880 vom Schweizer Chemiker Jean Charles Galissard de Marignac entdeckt worden war. Der so aufgerüstete Gadolinium-Detektor wird es gemäss Berechnungen möglich machen, in den nächsten fünf Jahren insgesamt ca. 4 bis 20 SRN – es handelt sich dabei um Anti-Elektron-Neutrinos – zu identifizieren. Trotz der geringen Zahl versprechen diese SRN wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse: Diese Neutrinos wären ein neues Mittel zur Beobachtung von Supernovae – nicht nur von solchen, die in der Milchstrasse stattgefunden haben, sondern auch von aussergalaktischen Supernovae, die mit viel grösserer Häufigkeit auftreten.

Nachweis der CP-Verletzung

Der Super-Kamiokande verspricht in den nächsten Jahren also nochmals aufregende Erkenntnisse. Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass der in den frühen 1990er Jahren konzipierte Detektor heute an seine Grenzen stösst. Und das aus einem einfachen Grund, den man auch von anderen Experimenten der modernen Teilchenphysik kennt: Wissenschaftliche Erkenntnisse werden in der heutigen Grundlagenphysik oft über die statistische Auswertung von sehr vielen Einzelereignissen gewonnen. Je höher die Zahl dieser Ereignisse, desto genauer sind der Ergebnisse. Dies gilt auch in der Neutrinophysik bei der Frage der sogenannten CP-Verletzung. CP-Verletzung bedeutet, dass Oszillationen von Neutrinos unterschiedlich häufig stattfinden, wenn man sie mit den Oszillationen ihrer Antiteilchen vergleicht. Besteht diese Ungleichheit, wäre das möglicherweise der Schlüssel zur Beantwortung der grundlegenden Frage, warum das Universum heute praktisch nur aus Materie besteht, obwohl beim Urknall gleich viel Materie und Antimaterie entstanden sein muss.

Das T2K-Experiment, in welchem Neutrinos aus dem J-PARC-Beschleuniger in Tokai an der japanischen Ostküste mit dem Super-Kamiokande detektiert werden, hat 2017 experimentelle Daten veröffentlicht, die darauf hinweisen, dass bei Neutrinooszillationen tatsächlich eine CP-Verletzung gegeben ist. Um für diese erste Beobachtung aber wissenschaftliche Gewissheit zu erlangen, braucht es mehr experimentelle Daten, die nur ein neuer, grosser Neutrinodetektor liefern kann. “Wir brauchen einen grösseren Detektor. Er wird etwa zehnmal grösser sein als der Super-Kamiokande, somit wird er in zehn Jahren soviel Daten liefern, auf die wir mit dem Super-Kamiokande 100 Jahre warten müssten”, sagt Prof. Masayuki Nakahata. Der japanische Neutrinophysiker ist Direktor des Kamioka Observatoriums, welches den Super-Kamiokande betreibt.

Mikroskop und Teleskop zugleich

Der Super-Kamiokande-Detektor ist das Herzstück des T2K-Experiments, mit dem eine weltweite Forscherkollaboration unter Teilnahme der Schweiz die Oszillationen von Neutrinos und Antineutrinos untersucht. Der Nachfolge-Detektor wird ‘Hyper-Kamiokande’ heissen (kurz: ‘Hyper-K’). Er soll acht Kilometer vom Super-Kamiokande entfernt in einem Felsmassiv errichtet werden, in dem früher Zink und andere Erze abgebaut wurden. Der Bau des Hyper-K beginnt im Frühjahr 2020, nach der für Dezember oder Januar erwarteten definitiven Finanzierungszusage durch das japanische Finanzministerium. Die Erfassung von Daten soll dann in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts beginnen. Geplant ist ein Tank, der nach dem Prinzip des Super-Kamiokande funktioniert, der aber rund fünfmal mehr Wasser enthalten wird (260’000 Tonnen statt 50’000 Tonnen) und mit deutlich mehr Fotosensoren ausgerüstet ist (40’000 statt 11’000, welche zudem eine zweimal bessere Sensitivität haben als die gegenwärtigen). Auf der Hyper-K-Webseite wird das neue Forschungsgerät mit folgenden Worten beschrieben: “Der Hyper-Kamiokande-Detektor ist sowohl ein ‘Mikroskope’, mit dem sich Elementarteilchen beobachten lassen, als auch ein ‘Teleskop’ für die Beobachtung der Sonne und von Supernovae mittels Neutrinos.”

Ein zweites wissenschaftliches Ziel des Hyper-K neben der CP-Verletzung ist die Suche nach dem Protonenzerfall. Gemeint ist damit die experimentelle Bestätigung der Hypothese der ‘Grossen Vereinheitlichten Theorie’ (GUT), wonach Protonen zerfallen können (allerdings mit einer extrem langen Halbwertzeit von mehr als 1034 Jahren, der aktuellen Limite, die durch Super-K gesetzt wurde). Der Hyper-K-Detektor wird den Protonenzerfall entweder entdecken oder die aktuelle Limite um einen Faktor 5 bis 10 weiter hinausschieben. Mit diesem Ziel kehrt der Hyper-K quasi an den Ursprung der Teilchenphysik-Forschung am Standort Kamioka zurück: Der erste Detektor war dort in den frühen 1980er Jahren gebaut worden mit dem Ziel, den Protonenzerfall experimentell nachzuwiesen.

Der Traum von der gemeinsamen Teilchenfamilie

Prof. Nakahata hofft, dass der Protonenzerfall mit dem Hyper-K beobachtet werden wird: “Ich glaube, dass man den Protonenzerfall finden und damit zeigen kann, dass eine Verbindung zwischen den zwei Teilchenklassen der Hadronen (darunter das Proton) und Leptonen (darunter das Positron) besteht. Dass also das Proton – das leichteste Hadron ­– zu einem positiven Elektron (Positron) ­– dem leichtesten Lepton – zerfallen kann. So könnten wir zeigen, dass das Proton und das Elektron, die ja die selbe Ladung tragen, zur gleichen Teilchenfamilie anhören.”

Autor: Benedikt Vogel

  • Der Hyper-Kamiokande-Detektor wird aus einem riesigen, zylinderförmigen Wassertank von 71 Metern Höhe und einem Durchmesser von 68 Metern bestehen. Illustration: Hyper-Kamiokande Collaboration
  • Der Bau des Hyper-Kamiokande ist auch eine geologische Herausforderung. Das Foto zeigt Gesteinsproben aus der Felsregion, wo die Kaverne für den Detektor ausgebrochen werden soll. Der Fels besteht aus homogenem, hartem Gneis und Inishi-Migmatit. Illustration: Hyper-Kamiokande Collaboration
  • Empfindliche Fotosensoren (Lichtverstärkungsröhren, oder engl. ‘Photomultiplier Tubes’/PMT) waren schon das technologische Herzstück des Super-Kamiokande. Für den Hyper-Kamiokande werden die Sensoren weiter entwickelt, damit sie noch sensitiver werden. Illustration: Hyper-Kamiokande Collaboration
  • Künstlerische Darstellung eines Protonzerfalls. Illustration: Hyper-Kamiokande Collaboration
  • Der Hyper-Kamiokande-Detektor wird aus einem riesigen, zylinderförmigen Wassertank von 71 Metern Höhe und einem Durchmesser von 68 Metern bestehen. Illustration: Hyper-Kamiokande CollaborationBild: CHIPP, Switzerland1/4
  • Der Bau des Hyper-Kamiokande ist auch eine geologische Herausforderung. Das Foto zeigt Gesteinsproben aus der Felsregion, wo die Kaverne für den Detektor ausgebrochen werden soll. Der Fels besteht aus homogenem, hartem Gneis und Inishi-Migmatit. Illustration: Hyper-Kamiokande CollaborationBild: CHIPP, Switzerland2/4
  • Empfindliche Fotosensoren (Lichtverstärkungsröhren, oder engl. ‘Photomultiplier Tubes’/PMT) waren schon das technologische Herzstück des Super-Kamiokande. Für den Hyper-Kamiokande werden die Sensoren weiter entwickelt, damit sie noch sensitiver werden. Illustration: Hyper-Kamiokande CollaborationBild: CHIPP, Switzerland3/4
  • Künstlerische Darstellung eines Protonzerfalls. Illustration: Hyper-Kamiokande CollaborationBild: CHIPP, Switzerland4/4

Kategorien

  • Elementarteilchenphysik

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