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Bild: ESO

Die Exoten unter den Atomen

Myon-Experimente am PSI knüpfen sich verschiedene Isotope vor

Nahaufnahme des metallischen magnetischen Kalorimeters (MMC).
Bild: QUARTET

Ein neues Experiment am Paul-Scherrer-Institut (PSI) hat sich aufgemacht, den Atomkern besser zu verstehen – und zwar mit Hilfe von Myonen. „QUARTET“, eine Kollaboration von Instituten der Schweiz, Belgien, Deutschland, Frankreich, Israel und Portugal, hat gerade zum zweiten Mal Daten genommen und alle Beteiligten warten gespannt auf die Ergebnisse. Ihre Verbündete: eine neue Detektortechnologie, mit deren Hilfe man in sehr viel niedrigere Energiebereiche vordringen kann.

Die Gruppe rund um Andreas Knecht (PSI) und Katharina von Schoeler (ETH) hat einen Forschungsfaden wieder aufgenommen, der schon einmal eine goldene Ära hatte: Forschung mit myonischen Atomen. Ein „normales“ Atom besteht aus einer Anzahl von Protonen und Neutronen im Kern umgeben von einer Wolke Elektronen. Ein myonisches Atom hat statt der Elektronen ein Myon, dies ist ein ebenfalls negativ geladener Verwandter der Elektronen. Myonen sind 200 mal schwerer als Elektronen, und wenn man sie regulären Atomen unterjubelt, kann man viel über den Atomkern herausfinden – zu Beispiel wie gross er ist. Das ist nämlich bis heute ein nur teilweise gelöstes Rätsel.

Das Schlüsselwort hier ist der Kernladungsradius. Bis wohin genau reicht die positive Ladung des Atomkerns, wo hört also der Kern auf? Das kann Forschenden Aufschlüsse darüber geben, ob zum Beispiel das Standardmodell der Teilchenphysik stimmt oder bei Präzisionsrechnungen von Atomen genauen Input geben. Messungen mit myonischen Atomen haben nämlich signifikante Diskrepanzen zu den Vorhersagen des Standardmodells ergeben: der gemessene Protonenradius weicht von den theoretischen Erwartungen ab, sind also möglicherweise neue Teilchen oder Kräfte im Spiel? Der Kernladungsradius kann nicht direkt gemessen werden, sondern wird aus experimentellen Daten abgeleitet. Und Myonen sind hier sehr hilfreich, weil sie durch ihre grössere Masse dichter am Kern ihre Bahnen ziehen. Eine Methode, dem Radius auf die Spur zu kommen, ist, die Myonen mit Lasern auf eine höhere Energiestufe anzuregen, Detektoren messen dann das Röntgenlicht, das sie aussenden, wenn sie diese höhere Stufe wieder verlassen – analog zur Spektroskopie bei normalen Atomen. Eine weitere Methode ist, per Röntgenspektroskopie die vom Myon emittierte Strahlung zu detektieren.

„Seit man in den 60-er Jahren anfing, mit Myonenstrahlen zu experimentieren, hat man alles gemessen was man konnte“, sagt Andreas Knecht. „Mitte der 80-er war man dann durch – es gab nichts mehr, was man mit der existierenden Technologie hätte herausfinden können.“ Eine Weile war es still im Forschungsfeld myonische Atome, aber mit verbesserten Myonenstrahlen, wie es sie zum Beispiel am PSI gibt, erlebt die Forschung gerade eine Renaissance. Unter anderem erzeugt man die Atome nicht mehr ausschliesslich mit Hilfe von dicken Targets, sondern auch mit hauchdünnen Schichten im Mikrogrammbereich, und kann so auch Messungen mit radioaktivem Material machen.

„Das gibt uns Zugang zu einem ganz neuen Feld von Isotopen. Wir suchen die Fälle, wo es zwei stabile Isotope gibt und ein instabiles, radioaktives. Wie verändern sich die Kernladungsradien von Isotop zu Isotop?“, erklärt Katharina von Schoeler ihre Forschung. Mit drei Referenzradien kann man der Theorie auf die Sprünge helfen, die allgemeine Präzision verbessern und so vielleicht Dinge sehen, die vorher im Rauschen untergegangen sind.

Ein limitierender Faktor wäre damit ausgeräumt, aber das Experiment „QUARTET“ (QUAntum inteRacTions for Exotic aToms) hat noch eine weitere Verbesserung vorgenommen – nämlich im Detektor. Statt der traditionellen Germanium-Detektoren nutzt das Team ein metallisches magnetisches Mikro-Kalorimeter. Wie die Germanium-Detektoren ist es darauf spezialisiert, Röntgenstrahlung zu messen. Anders als die traditionellen Detektoren kann dieses Kalorimeter aber besonders gut niedrige Energien messen. Die Schwelle liegt bei herkömmlichen Detektoren bei ungefähr 50 keV; das metallische magnetische Mikro-Kalorimeter schafft es runter bis zu wenigen keV. Sein Auflösungsvermögen ist damit 20 Mal besser als das anderer Detektoren.

Das liegt an seiner Technologie: der gesamte Detektor ist nicht grösser als 4 x 4 Millimeter. Er besteht aus 8 x 8 jeweils einen halben Millimeter grossen Pixeln. Gebaut am und ständig begleitet von Mitarbeitenden des Kirchhoff-Instituts für Physik in Heidelberg, misst er winzige Temperaturänderungen, die durch die Absorption von Energie verursacht werden. Er muss bei sehr niedrigen Temperaturen –10 bis15 milli-Kelvin – betrieben werden, um das bestmögliche Ergebnis aus den Daten herauszuholen, und hat dabei ein extrem hohes Auflösungsvermögen. Die tiefen Temperaturen werden mit Hilfe dank eines handelsüblichen Verdünnungskühlschranks erreicht. Die Forschenden wollen dabei nicht nur herausfinden, welche Energien es überhaupt messen kann, sondern auch, wie gut die Energieauflösung dort ist. Das ist der Schlüssel, um zum Beispiel myonische Lithium-Isotope voneinander zu unterscheiden. Anhand der Übergangsenergien der myonischen Atome können die Forschenden dann Rückschlüsse auf die Kernladungsradien ziehen .

Lithium, Beryllium und Boron hat das Team bereits gemessen. “Dieses Jahr haben wir uns für unsere Strahlzeit von zwei Wochen Lithium für noch präzisere Messungen vorgenommen. Es ist zwar ein Riesenstress, weil wir natürlich so viel Informationen wie möglich in der kurzen Zeit sammeln wollen, aber alle Beteiligten sind auch sehr gespannt”, erzählt Katharina von Schoeler. Beim ersten Durchlauf letztes Jahr hat das Team erst einmal das Prinzip der Datennahme getestet (sie funktioniert!) und Stellen für Verbesserungen identifiziert. Die ersten Ergebnisse dieser Messungen werden im Jahr 2025 erwartet – und dann gibt es natürlich noch viele andere Kerne, die genau vermessen werden wollen!

Barbara Warmbein

Das Experiment wurde in Gemeinschaftsarbeit von der internationalen QUARTET-Kollaboration an der Strahllinie im PSI installiert.
Das Experiment wurde in Gemeinschaftsarbeit von der internationalen QUARTET-Kollaboration an der Strahllinie im PSI installiert.Bild: QUARTET

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