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Bild: ESO

Alles, überall, alles auf einmal in der Teilchenphysik

Es ist immer spannend, eine neue Anwendung für ein bestehendes Instrument zu finden. Die Forscher Andrii Tykhonov und Paul Coppin von der Universität Genf haben entdeckt, dass DAMPE – ein Detektor, der für die Analyse der kosmischen Strahlung und die Suche nach dunkler Materie gebaut wurde - auch messen kann, wie kosmische Protonen mit schweren Kernen im Innern des Detektors wechselwirken. Warum ist das wichtig? Weil es der Schlüssel zu so vielen Dingen ist, von der Untersuchung weit entfernter kosmischer Ereignisse bis zur Entschlüsselung der Geheimnisse der starken Kraft.

DAMPE Detector
Bild: Video still, Chinese Academy of Science

Kosmische Strahlung - energiereiche Protonen und Atomkerne - wird von Supernovae, aktiven galaktischen Kernen und anderen kosmischen Ereignissen in den Weltraum geschleudert. Dies macht kosmische Teilchen sehr hilfreich für die Erforschung des Universums, was Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen tun, indem sie sie mit weltraumgestützten Detektoren einfangen. Dabei gibt es jedoch ein Problem: Die Detektoren erfassen nur Teilchen, die mit ihrem Material wechselwirken. Um alle eintreffenden kosmischen Strahlung zu verstehen, müssen wir wissen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie mit Materie wechselwirken. Diese Frage geht über die Astrophysik hinaus – die Protonentherapie in der Medizin beispielsweise ist auf genaue Kenntnisse darüber angewiesen, wie Protonen mit menschlichem Gewebe wechselwirken, um Krebszellen zu schädigen und das umliegende Gewebe möglichst zu schonen. Trotz ihrer Bedeutung ist die Messung und Vorhersage dieser Wechselwirkungswahrscheinlichkeiten schwierig. Die DAMPE-Kollaboration hat nun einen neuen Weg gefunden, um zu messen, wie Protonen und andere hadronische Teilchen – das sind Teilchen, die Quarks enthalten - mit schweren Atomkernen wechselwirken. Diese Bemühungen werden von Prof. Tykhonov und Dr. Coppin geleitet.

Der DAMPE-Detektor wurde 2015 gestartet, um in der kosmischen Strahlung nach Spuren Dunkler Materie zu suchen. DAMPE zeichnet sich gegenüber anderen Weltraumdetektoren dadurch aus, dass er die Energie und die Flugbahn der einfallenden Teilchen mit hoher Auflösung misst. Ursprünglich sollte dies dazu dienen, Teilchen bei bestimmten Energien zu identifizieren, die auf dunkle Materie hindeuten könnten. Doch wie so oft in der Wissenschaft erwiesen sich die Fähigkeiten von DAMPE als nützlich für etwas Unerwartetes. Prof. Tykhonov und Dr. Coppin entdeckten, dass DAMPE auch die Wechselwirkung der kosmischen Strahlung mit dem Detektormaterial genauer bestimmen kann. Durch die Analyse tausender solcher Wechselwirkungen konnten sie die Wahrscheinlichkeit bestimmen, mit der ein kosmisches Teilchen auf Atomkerne im Detektor trifft – eine Grösse, die als Wirkungsquerschnitt bezeichnet wird. Da DAMPE die Energie jedes eintreffenden Teilchens misst, konnten sie auch messen, wie sich diese Wahrscheinlichkeit mit der Energie ändert.

Auf der Erde sind so umfassenden Messungen nicht möglich. Teilchenbeschleuniger wie der Large Hadron Collider am CERN können zwar Wirkungsquerschnitte mit hoher Präzision messen, haben aber ihre Grenzen – sie sind jeweils auf eine Energie konzentriert und lassen in der Regel nur wenige Teilchenarten wie Protonen oder Blei-Ionen aufeinanderprallen. Hier haben Weltraumexperimente wie DAMPE einen grossen Vorteil. Die kosmische Strahlung kommt natürlicherweise in einem breiten Energiebereich vor und umfasst nicht nur Protonen, sondern auch Helium und schwerere Atomkerne. Man muss nur die Daten sammeln und den Wirkungsquerschnitt für jedes Teilchen bestimmen – klingt einfach, oder?

Doch wie immer ist es leichter gesagt als getan. Die Vielfalt der kosmischen Strahlung bringt auch neue Herausforderungen mit sich. Die Teilchen kommen aus allen Richtungen, mit unterschiedlichen Energien und alle auf einmal. Um aussagekräftige Daten zu erhalten, müssen die Forscher zunächst Protonen und Heliumionen von anderen Kernen unterscheiden und dann nur diejenigen auswählen, die den Detektor sauber von oben nach unten durchqueren. Dr. Coppin erinnert sich, dass es ihm Spass gemacht hat, „die Daten zu untersuchen und verschiedene Techniken auszuprobieren“, um diese Probleme zu lösen. Er war der erste, der Machine Learning auf diese Art von Messungen anwandte. Sogenannte Convolutional Neural Networks (CNN) analysieren die Energiemuster im Detektors und helfen dabei, Teilchen zu identifizieren und ihre Flugbahn mit hoher Präzision zu verfolgen.

Prof. Tykhonov hebt ein weiteres grundlegendes Ergebnis der Arbeit hervor: "Die Messung der Wechselwirkung von Protonen mit schweren Kernen trägt zu unserem Verständnis der starken Kraft bei, die neben der elektromagnetischen, der schwachen und der Gravitationskraft zu den fundamentalen Kräften der Natur gehört. Die starke Kraft bindet die Quarks in Protonen und Neutronen aneinander, aber ihre Wechselwirkungen zu berechnen ist extrem komplex. Deshalb sind experimentelle Daten wie die von Prof. Tykhonov und Dr. Coppin gemessenen Wirkungsquerschnitte so wertvoll. Sie helfen uns, mehr über die starke Kraft in Bereichen zu erfahren, die mit Beschleunigern nicht erreichbar sind.

Prof. Tykhonov und Dr. Coppin haben die Leistungsfähigkeit der DAMPE-Daten demonstriert - und das ist erst der Anfang. Derselbe Datensatz kann verwendet werden, um über Protonen und Helium hinauszugehen und die Wirkungsquerschnittsmessungen auf schwerere Teilchen auszudehnen. Letztendlich werden diese Messungen die Simulationen darüber verfeinern, wie hadronische Teilchen mit Materie interagieren, was sowohl unserer Erforschung des Universums als auch gesellschaftlichen Anwendungen wie der medizinischen Physik zugute kommen wird und auch helfen wird, die Gesundheitsrisiken, denen Astronauten im Weltraum ausgesetzt sind, besser zu verstehen.

Diese Arbeit wurde durch den ERC PeVSPACE Grant und den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützt.

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