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Bild: ESO

Dunkle Sirenen singen über dunkle Energie

Lernen Sie Marcelle Soares-Santos – eine neue Professorin an der Universität Zürich (UZH) - kennen, eine Expertin für dunkle Energie, die vor einem Jahr nach Zürich kam. In unserem Gespräch erzählte sie von ihrer Begeisterung darüber, wie Gravitationswellen uns etwas über die Geschichte unseres Universums lehren können. Lesen Sie weiter, um zu erfahren, was sie zu diesem Gebiet geführt hat und woran sie als Nächstes arbeiten wird.

Prof. Marcelle Soares-Santos (UZH)
Bild: CHIPP

Im August 2017 setzte eine Nachricht die Forschungswelt in Erstaunen: Zum ersten Mal in der Geschichte konnte die LIGO-Virgo-Kollaboration Gravitationswellen von zwei kollidierenden Neutronensternen nachweisen. Marcelle Soares-Santos erinnert sich an diesen Tag: „Das war der absolute Wahnsinn! Wie üblich findet das Leben zur gleichen Zeit wie die Wissenschaft statt.“ Da sich die Messkampagne von LIGO dem Ende zuneigte, rechnete Prof. Soares-Santos nicht mit neuen Ergebnissen und plante ihren Umzug von Chicago nach Boston, wo sie eine Stelle als Professorin erhalten hatte. Genau an dem Tag, als der Umzugswagen ankam, erhielt sie eine E-Mail von LIGO über ihre historische Entdeckung.

Was war das Besondere an diesem Ereignis? Gravitationswellen - Wellen in der Raumzeit - wurden seit dem Start von LIGO im Jahr 2014 bereits mehrfach nachgewiesen. Allerdings stammten sie alle von kollidierenden Schwarzen Löchern. Obwohl wir also die Gravitationswirkung dieser Ereignisse „spürten“, konnten wir sie mit unseren Teleskopen nicht „sehen“, da sie... schwarz waren. Das macht die Kollision von Neutronensternen so besonders: Sie strahlt ein helles Licht aus, das auf der Erde zu sehen ist. Die Nachricht von LIGO über ihre Entdeckung war für viele Astronomen ein Aufruf zum Handeln. Prof. Soares-Santos leitete eine der Gruppen, die Dark Energy Survey, denen es gelang, das Licht der kollidierenden Neutronensterne mit ihren Kameras einzufangen.

Solche sogenannte Multi-Messenger-Nachweise, bei denen ein und dasselbe Ereignis durch verschiedene Signale beobachtet wird, eröffnen neue Wege zur Erforschung des Universums. Wir wissen, dass sich das Universum ausdehnt, aber um seine Geschwindigkeit zu messen, benötigen wir sowohl die Entfernung zu als auch die Geschwindigkeit der sich entfernenden Objekten. Die Kollision von Neutronensternen lieferte nun die dazu notwendigen Werkzeuge. Gravitationswellen sind sehr nützlich, um die Entfernung zu den Kollisionsereignissen zu messen, aber sie reichen nicht aus, um die Geschwindigkeiten zu bestimmen. Hier kommt das Licht ins Spiel: Wenn ein sich bewegendes Objekt Licht mit einer bestimmten Frequenz aussendet, beobachten wir eine Verschiebung dieser Frequenz in Abhängigkeit von seiner Geschwindigkeit - ähnlich wie die Sirene eines Krankenwagens tiefer klingt, wenn er sich entfernt. Dieser als Rotverschiebung bezeichnete Effekt ermöglicht es uns zu messen, wie schnell sich die kollidierenden Sterne entfernen, und liefert damit das fehlende Puzzleteil für die Schätzung der Expansionsrate des Universums. Auch wenn diese Methode noch nicht so präzise ist wie andere, so markiert sie doch den Beginn einer neuen Ära in der Kosmologie.

Marcelle Soares-Santos Interesse an Gravitationswellen hat sich im Laufe der Zeit entwickelt. Schon früh war sie von den grundlegenden Naturgesetzen fasziniert. Als sie dann als Bachelor-Studentin von der Dunklen Energie hörte - einer mysteriösen Entität, die im Universum weitaus häufiger vorkommt als alles, was wir sehen können -, beschloss sie, dass dies ein perfektes Forschungsthema sei. Wir wissen heute immer noch nicht, was dunkle Energie ist, aber wir wissen, dass sie unser Universum stark beeinflusst. Normalerweise sollte die Gravitation die Ausdehnung des Universums im Laufe der Zeit verlangsamen, aber Beobachtungen zeigen das Gegenteil: In den letzten 5 Milliarden Jahren hat sich die Ausdehnung beschleunigt. Um dieses Paradoxon zu lösen, haben Forschende das Konzept der dunklen Energie eingeführt - eine gleichmässige, abstossende Schwerkraft, die Galaxien auseinander treibt und die Expansion beschleunigt.

Viele Theorien versuchen, die Dunkle Energie zu erklären - es könnte sich zum Beispiel um Energie handeln, die mit dem leeren Raum verbunden ist, um ein neues, bisher unbekanntes Feld oder um etwas noch Exotischeres. Während ihres Masterstudiums wollte Marcelle Soares-Santos dieses Rätsel lösen, indem sie alternative Modelle entwickelte und deren Auswirkungen auf das Universum vorhersagte. Doch bald stellte sie fest, dass der Ball bei den Experimentatoren liegt: Viele dieser Modelle stimmen mit unseren aktuellen Messungen der kosmischen Expansion überein, und es ist unmöglich zu sagen, welches von ihnen besser ist. Dies bedeutet, dass wir sehr viel präzisere und detailliertere Messungen benötigen, um die Natur der dunklen Energie zu verstehen. Von dieser Idee angetrieben, hat sich Prof. Soares-Santos dem Dark Energy Survey-Projekt angeschlossen, um detaillierte Daten über Galaxien, Supernovae und andere kosmische Strukturen zu sammeln.

Nachdem sie 2014 eine neue Dark-Energy-Camera (ein leistungsstarker CCD- Bildsensor mit grossem Aufnahmebereich) für dunkle Energie entwickelt und in den chilenischen Bergen installiert hatte, suchte Prof. Soares-Santos nach neuen Wegen für ihre Forschungsgruppe. In der Zwischenzeit bereitete sich die LIGO-Kollaboration auf die Messung von Gravitationswellen aus kosmischen Kollisionen vor und benötigte Astronomen und Astronominnen, um die begleitenden Lichtsignale zu erfassen. Prof. Soares-Santos erkannte schnell das Potenzial der Dark-Energy-Camera für diese Aufgabe - sie wurde entwickelt, um grosse Bereiche des Himmels schnell zu scannen, was ideal ist, um Ereignisse zu lokalisieren, die von Gravitationswellendetektoren nur ungenau erfasst werden können. Sie meldete sich für das Programm an und gehörte dank dieser Entscheidung zu den ersten, die 2017 die Kollision zweier Neutronensterne sahen. Über diesen Moment sagt sie: „Wenn man an einer solchen Entdeckung beteiligt ist, sieht man, wie sich der Sinn des ganzen Unterfangens zusammenfügt“ Von diesem Moment an war ihre Forschung fest mit Gravitationswellen und ihren optischen Gegenstücken verbunden.

Leider wurde seit der Kollision der Neutronensterne von 2017 kein ähnliches Ereignis mehr beobachtet. Die meisten entdeckten Gravitationswellen stammen von der Verschmelzung schwarzer Löcher, die wenig oder gar kein Licht aussenden. Können wir aus diesen „dunklen Sirenen“ dennoch Informationen über die Expansion des Universums gewinnen? Prof. Soares-Santos hat auf der Grundlage ihrer Erfahrung mit Galaxiendurchmusterungen einen neuen statistischen Ansatz vorgeschlagen: Anstatt die Geschwindigkeit eines einzelnen Ereignisses zu messen, schätzte sie diese auf statistischer Basis. Indem sie den ungefähren Ort einer Kollision analysierte, wies sie jeder nahe gelegenen Galaxie eine Wahrscheinlichkeit für das Ereignis zu und nutzte das Licht dieser Galaxien, um auf die Expansionsrate zu schliessen. Um mit dieser Methode genaue Ergebnisse zu erhalten, werden jedoch viel mehr Messungen von Gravitationswellen benötigt.

Seit ihrem Wechsel an die Universität Zürich arbeitet Prof. Soares-Santos an Detektoren der nächsten Generation, um die gewünschten Daten zu sammeln. Aufbauend auf ihrer Erfahrung mit optischen Instrumenten entwickelt sie neue Dioden für Interferometer, die Gravitationswellen messen. Die Detektoren der nächsten Generation werden es uns ermöglichen, nicht nur Momentaufnahmen des Universums zu bestimmten Zeitpunkten zu machen, sondern seine Geschichte über die Zeit zu verfolgen. Denn im Gegensatz zu anderen Instrumenten arbeiten Gravitationswellendetektoren über einen grossen Entfernungsbereich hinweg und ermöglichen es uns, sowohl weit entfernte, frühe als auch nähere, jüngere Ereignisse zu beobachten. Diese kontinuierliche Zeitlinie des Universums wird uns helfen, strengere Grenzen für kosmologische Theorien zu setzen und uns dem Verständnis der dunklen Energie näher bringen.

Wie Prof. Soares-Santos betont, ist dieses Gebiet voller spannender Herausforderungen und Möglichkeiten für unterschiedliche Fachkenntnisse. Einige Mitglieder ihrer Gruppe arbeiten in den chilenischen Bergen, um die Dark Energy Survey Kameras zu betreiben und zu verbessern, während sich andere an der Universität Zürich auf die Entwicklung neuer Dioden für Gravitationswellendetektoren und die Verfeinerung der Datenanalyse konzentrieren, um sich auf die kommende Welle von Messungen vorzubereiten. Prof. Soares-Santos freut sich auf die Zukunft: „Wenn ich jetzt eine Studentin wäre, würde ich mich sehr für dieses Gebiet begeistern. In den nächsten Jahren wird es eine Fülle von Daten geben, und es wird viele spannende neue Ergebnisse geben. Egal, ob wir nun zum ersten Mal das stochastische Signal Schwarzen Löcher nachweisen, ein Korrelationssignal zwischen Gravitationswellen und Galaxien sehen oder die nächste helle Emission von kollidierenden Neutronensternen entdecken - jedes Ereignis wird beeindruckend und aussergewöhnlich sein!“

Author: Aleksandra Nelson

  • DECam operating at night
  • observatory in Chile
  • DECam operating at nightBild: 2025 The Dark Energy Survey1/2
  • observatory in ChileBild: 2025 The Dark Energy Survey2/2

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